Die Kirche als Gefängnis

Etwa 70 Männer und Burschen waren nach dem Abzug der Todgeweihten im Kirchhof zurückgeblieben. Wie es ihnen ergangen ist, berichtet Fabian Held, ein Mitbetroffener und Augenzeuge:

„Als die größere Gruppe von 212 Personen den Befehl zum Abmarsch erhielt, wusste man noch nicht, wo die hingetrieben würden und auch nicht, was mit der kleinen Gruppe von etwa 70 Männern geschehen werde. Dass dieses Auslesen nichts Gutes bedeutete, war uns klar. Der gesamte Vorgang deutete auf etwas Schlimmes hin; jeder von uns rechnete mit seinem baldigen Ende.

Die Art und Weise, wie die Männer verteilt worden waren, zeigte auch, dass man gar nicht die Absicht gehabt hatte, genauer nach Schuld oder Unschuld der einzelnen zu fragen. Das größte Verbrechen bestand darin, Deutscher zu sein. Wir, die kleine Gruppe, warteten auf einen Befehl. Dieser kam auch bald. Man verlangte vom Pfarramt, sofort die Tür zur Sakristei zu öffnen. Als die Tür offen war, wurden wir alle durch die Sakristei in die Kirche getrieben und mussten uns in den Bänken niedersetzen. Ohne ein Wort zu sprechen, folgten wir dem Befehl. Es war bereits 4 Uhr nachmittags. Draußen lag ein düsterer Herbsttag über dem Land. In der Kirche dunkelte es langsam. Die Stimmung war unserem Schicksal entsprechend tief gedrückt. Alles um uns war still, auch unsere Bewacher verhielten sich ruhig. Es waren die Partisanen vom Ortskommando. Auf einmal hörte man Schritte in der Sakristei, die immer näher kamen. Es erschienen ein russischer Offizier und unser Landsmann Joschi Held, der zugleich als Dolmetsch fungierte. Der Offizier trat vor uns hin und stellte verschiedene Fragen in russischer Sprache. Er fragte nach Kriegsmaterial, nach gewesenen deutschen Soldaten und nach Funktionären des Kulturbundes. Joschi Held musste die Fragen übersetzen und gleich drohen, dass alle jene erschossen werden würden, die Kriegsmaterial hätten und dies nicht meldeten. Auch jene müssten sich melden, die beim deutschen Militär und beim Kulturbund gewesen seien.

Es blieb alles mäuschenstill, niemand machte eine Meldung. Die Drohungen steigerten sich, und unsere Lage spitzte sich zu. Es hieß, es würden alle erschossen werden, wenn etwas bewusst verschwiegen würde. Ich selbst war einer, der beim deutschen Militär gewesen war. Ich war gezwungen aufzustehen, mich selbst zu melden, um die übrigen Kameraden vor einer bösen Entwicklung zu schützen. Ich stand auf.

Der Offizier kam mit seiner Begleitung auf mich zu und fragte, wieso ich denn wieder hierher zurückgekommen sei. Ich antwortete: Dass ich beim deutschen Militär gewesen sei, sei nicht meine Schuld gewesen. Ich hätte niemandem Leid zugefügt, warum sollte ich nicht in meine Heimat zurückkommen? Kopfschüttelnd wendeten sie sich von mir ab mit der Bemerkung, ich möge stehenbleiben. Die Schikanen gingen weiter, immer mit der Drohung, erschossen zu werden. Unsere Lage wurde unheimlich. Es wurde allerhand angewendet, um uns zu erpressen ...

Andere Drohungen richteten sich gegen Personen, die im Kulturbund tätig gewesen waren. Erst nach langem Hin und Her meldeten sich Josef Krewenka, Josef Pertschy und Josef Hoog. Man ließ sie heraustreten und führte sie vor den Altar. Dort mussten sie sich, gegen die Kameraden schauend, niederknien und sollten zum Gespött aller gemacht werden. Doch alle Kameraden verhielten sich ruhig und nachdenklich. Dies war den Partisanen aber nicht genug. Es mussten einige Männer aufstehen und die Gruppe durchsehen, ob nicht noch welche dabei wären, die beim Kulturbund als Funktionäre tätig gewesen waren. Es wurde ihnen gedroht, wenn es solche gäbe und sie diese nicht anzeigten, würde es ihnen genauso ergehen wie jenen, die man schon weggeführt hatte. Die Männer schwiegen. So dauerten dieses Verhör und die Schikanen bis 9 Uhr abends. Dann gingen sie weg bis auf einige Partisanen. Ich durfte mich niedersetzen. Es trat eine unheimliche Stille ein. Unsere Hirne arbeiteten fieberhaft, und unsere Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Jeder von uns hatte den Eindruck, dass unsere Stunden gezählt seien. Wir waren in der Kirche und glaubten fest daran, dass der Herrgott in unserer Nähe sei und er uns nicht verlassen würde ...

Wir beteten still, jeder für sich, soweit er noch die Kraft dazu hatte. Und wer das Beten und Weinen schon verlernt hatte, der hat es in dieser Nacht in unserer Kirche wieder gelernt. Dass wir hilflos und machtlos waren, war uns klar.

Die Nacht wurde unheimlich lang. Jeder Glockkenschlag der Turmuhr war ein Schlag auf unsere bis zum Zerreißen gespannten Nerven. Das Warten auf unser Ende war für uns ein Stück Ewigkeit, die Ungewissheit machte uns das Warten zur Hölle. Langsam wurde es allen kalt, da die meisten nur ganz leichte Kleider anhatten und seit morgens nichts gegessen hatten.

Gegen Mitternacht kam der Offizier mit seiner Begleitung wieder. Man kann es einfach nicht beschreiben, wie schrecklich ihr Kommen auf uns wirkte. Es war furchtbar. Es war ein Kampf um unser aller Leben. Was man über uns beschlossen hatte und was man mit uns machen würde, wusste keiner von uns. Die Verhöre und Schikanen begannen wieder von vorne. Man drohte jedem, bei dem man Munition oder Waffen finden würde, mit der Erschießung. Wer von solchen Dingen etwas wisse und dies melde, würde sofort freigelassen, wer etwas wisse und nichts melde, würde samt seiner Familie erschossen werden.

Die Drohungen in dieser Richtung gingen weiter. Diese Nacht wurde uns zur Hölle gemacht, einfach weil wir Deutsche waren. Alles andere war nur ein Vorwand für die Schikanen. Lange nach Mitternacht verließen die Herren wieder die Kirche mit der Bemerkung, wir mögen es uns noch gut überlegen und nicht zögern, Anzeigen zu machen. Es trat wieder eine unheimliche Stille in der Kirche ein. Jeder Schlag der Turmuhr war ein Stück Ewigkeit. Wie lange würde es noch dauern, bis ... ? Es war furchtbar kalt, und wir froren sehr. Keiner wurde schläfrig.

Johann Mattes (Balwiirer-Hans) bediente auch manchmal jene Partisanen, die uns bewachten. Er bat sie, sie mögen ihn doch heimgehen lassen, um einen Rock zu holen, denn er halte es in der kalten Kirche nicht mehr lange aus. Weil sie ihn gut kannten, ließen sie ihn gehen. Er kam auch bald wieder zurück. Als die Glocke vom Turm die fünfte Stunde schlug, hörten wir aufs Neue durch die Sakristeitür jemanden kommen. Ein Partisan

brachte die Nachricht, dass wir entlassen seien und heimgehen könnten. Keiner konnte diese Nachricht glauben, und doch brachte sie uns für kurze Zeit wieder die Freiheit.

Als wir die Kirche verließen, herrschte über dem ganzen Dorf eine unheimliche Stille, eine Friedhofsstille, in der Tausende Menschen still litten und beteten. Mehr konnten sie auch nicht tun, weil alle hilflos waren. Viele bangten um den Gatten, den Vater oder den Sohn, der am Vortag verschleppt worden oder bei uns in der Kirche geblieben war. Was noch daheim war, waren fast nur Männer über 60 Jahre, männliche Jugendliche unter 16 sowie Mädchen und Frauen sowie Kinder“ (HB 14/1970, 3-5).

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