Die Vertreibung: Bericht aus dem Tagebuch von Paul Mesli

Filipowa. Kalvarienberg mit Rochuskapelle, Kreuzigungsgruppe und Kreuzweg Filipowa. Kalvarienberg mit Rochuskapelle, Kreuzigungsgruppe und Kreuzweg

Über die Vertreibung der Filipowaer aus ihren Häusern und ihrem Heimatort sowie über das Ende von Filipowa als einer donauschwäbischen Gemeinde nach 182 Jahren haben wir den Bericht des Tagebuches von Paul Mesli, der dieses aus allen Gefahren des Lagerlebens in die Freiheit retten konnte. Mesli war mir einem aus Männern bestehenden Arbeitskommando schon in der ortseigenen Volksschule interniert. Wie sie als Zehnjährige die Austreibung erlebte, schildert Rita Prost-Pertschy in ihrem Buch „ Das Heimweh der Simon Rita“, Sersheim 1994, S, 54-57.

Am Karsamstag, dem 31. März 1945, versammelten sich etwa 200 Partisanen bei der Dreifaltigkeitssäule in der Ortsmitte. In der Kirche feierten Pfarrer Peter Müller und mehrere Priester, die mit ihren Gemeinden wenige Tage vorher nach Filipowa getrieben worden waren, die Karsamstagsliturgie. Jemand rief in die Kirche hinein: „ Wir werden vertrieben“. Auch der Partisanenkommandant Sekić trieb die Leute aus der Kirche, die verzweifelt nach Hause liefen. Dann schrie Kommandant Sekić: „ Napred Marsch!“ - „Vorwärts Marsch!“ und die Partisanen verteilten sich in fünf Kolonnen auf die fünf langen Gassen von Filipowa und begannen vom südlichen Ortsende aus die Leute aus den Häusern zu treiben, sowohl die Filipowaer wie auch die einige Tage zuvor hergetriebenen Karawukowaer und Batsch-Sentiwaner.

„Die Leute kamen mit Bündeln auf den Rücken, mit Schubkarren und Kinderwagen, alles vollbeladen, und die Partisanen trieben sie brutal wie eine Herde vor sich her. - Immer dichter wurde der Zug auf der Gasse, auf dem Fahrweg. Es waren die Leute aus allen Häusern der Unteren Kirchgasse. »Sie zerrten sich ab an ihren letzten Habseligkeiten, die sie sich von daheim noch mitnehmen durften, dazu kamen noch die kleinen Kinder. - Ein unerhörtes Elend, Partisanen ... gaben ihnen Hiebe mit dem Gewehrkolben und übten ihre Rache an unschuldigen Menschen. So haben wir als Augen und Ohrenzeugen die Vertreibung miterlebt; wir durften aber unser Lager in der Schule nicht verlassen, um unseren Familien in dieser schweren Stunde beizustehen. Wir waren zur Untätigkeit verurteilte Zeugen des Unterganges unserer Heimatgemeinde Filipowa.

Wie man sonst die Kühe der Hutweide zutrieb, genauso trieb man heute die Menschen auf die Hutweide. Dann kam am Ende noch ein Anblick für mich, auf den ich nicht gefasst war: Mitten auf dem Fahrweg, unter der Menschenmenge, sah ich meine Frau mit dem Kinderwagen mit der sieben Monate alten Gerlinde und einem Bündel Sachen auf dem Wagen. Mein Sohn Hans ging nebenher und trug ein Bündel auf dem Rücken ... Ich glaube, es kann einem Vater nichts Schlimmeres zustoßen, als auf diese Weise der eigenen Familie beraubt zu werden.“ (P.M.).

Auf der Hutweide standen dann 7000 bis 8000 Menschen und erwarteten ihre Selektion: Die Auswahl der Arbeitsfähigen und ihre Trennung von denen, die ins Konzentrationslager für nicht Arbeitstaugliche sollten. War das Kind zwei Jahre alt, dann ging die Mutter zusammen mit dem Kind in das KZ. War aber das Kind mehr als zwei Jahre all, dann wurde es von der Mutter gerissen und der Großmutter oder der Tante oder den Nachbarsleuten zugestoßen: Die Mutter ging in das Arbeitslager, die drei- bis 14jährigen Kinder mit den Kranken und über 60jährigen per Eisenbahn in Viehwaggons in das KZ Gakowa. (In unbewachten Augenblicken versuchten Mütter sich zu ihren Kindern hinüberzustehlen. Bei der Trennung der Kinder von ihren Müttern spielten sich kaum beschreibbare Szenen ab.

Konkret erlebt: „ Zusammengepfercht wie eine Herde lagen die Menschen auf der Hutweide. Hier verbrachten wir den ersten Tag. Im Morgengrauen des nächsten Tages holten sie jede zweite Frau aus der Kolonne heraus und trieben sie in ein Haus hinein. Wenn die Frauen weinend wieder herauskamen, hatten sie kein Bündel, keinen Schmuck mehr. Auch einen Teil der Kleider hatte man ihnen ausgezogen. Wir haben unsere Tante getroffen. Sie hat nur noch den ausgeräumten Kinderwagen gehabt. Das Kind musste sie ohne Bettwäsche in den Wagen legen... Am nächsten Tag ging alles wieder von vorne los... Wieder wurden die Menschen ausgeplündert. So ging es drei Tage und drei Nächte lang.

Besonders schlimm waren die Nächte. Die Kinder weinten vor Hunger und Kälte. Die Hunde jaulten die ganze Nacht hindurch, sie waren hungrig und in den Häusern allein gelassen. Sie wurden einige Tage später alle erschossen. In den Nächten hörte man die Frauen weinen und beten...

Als man am letzten Tag wieder plünderte, kam meine Mutter auch an die Reihe. Die Partisanen zerrten sie aus der Kolonne heraus in ein Zimmer, Als ich sie festhalten wollte, schlugen sie mir ins Gesicht. Ich spürte keinen Schmerz, denn die Angst um die Mutter war größer. Ich war froh, als ich sie lebend herauskommen sah. Aber die Freude war von kurzer Dauer. Die Mutter war kreidebleich und zitterte am ganzen Körper. Als sie mir etwas sagen wollte, floss Blut aus ihrem Mund. Auch aus ihren Ohren tropfte Blut. Man hatte ihr die goldüberzogenen Zähne herausgebrochen und die Ohrringe aus den Ohren gerissen.

Die letzte Nacht in der Heimat kam. Sie war kalt. Es war ja erst März. Den warmen Mantel meiner Schwester hatten sie der Mutter weggenommen... Über uns funkelten die Sterne, und wir weinten uns in den Schlaf... Nach Tagen und Nächten voller Angst, Hunger und Kälte wurden wir... in Viehwaggons gesteckt. Die Partisanen achteten nicht darauf, ob die Familien zusammenblieben .,. Als die Türen nach Stunden voller Qualen aufgemacht wurden, sahen wir, dass man uns in das Vernichtungslager nach Gakowa gebracht hatte.“ (R. P.)‘

Kaplan Matthias JOHLER, gebürtiger Filipuwaer, kam im September 1945 nach Gakowa, um dem dortigen Pfarrer seelsorgerisch zu helfen. Die letzten Tagebucheintragungen, bevor er selbst am 10. Dezember 1945 an Typhus erkrankte und nach vier Wochen schweren Fiebers und zeitweiliger Bewusstlosigkeit überlebte, lesen sich wie eine Sequenz des Todes:

„25. November 1945. Schon einige Tage ungesunde, nasskalte Witterung. Die Krankenzahl steigt von Tag zu Tag. Nach einer Schätzung des Arztes liegen um die 2000 Kranke und Gebrechliche, die der Pflege bedürften. Es ist keine Seltenheit, dass man in Häuser kommt mit zehn bis zwölf Kranken in einem Zimmer. Der Typhus wütet unbarmherzig weiter. Der Lager-Apotheker ist gestorben, und der Arzt ist auch schwer krank ...

„1. Dezember 1945. Nun hat der Herr auch aus der Mitte meiner Angehörigen ein Opfer angenommen: Die Schwägerin ist tot. Heute soll sie beerdigt werden. In Gedanken versunken über das Schicksal unserer Familie und über das der kleinen Waisen Evi und Eugen ging ich zum Friedhof, um zu sehen, ob das Grab schon fertig sei. Wie ich jedoch eintrete, sehe ich vor dem weitgeöffneten Tor der Totenkammer zwei Mädchen stehen, frierend, zitternd und bitterlich weinend. Ein gutes Wort, und ich erfahre, dass die Kinder ihre Mutter suchen. Eine Frage, und sie erzählen mir, dass ein Wagen beim Hause vorgefahren sei und die Mutter aufgeladen habe. Arme Kinder, ich weiß nun alles: Es war der Totenwagen. ‚Jetzt sind wir ganz allein‘, klagte das ältere, elfjährige Mädchen, nur noch ein Brüderchen mit vier Jahren liegt daheim krank.‘ ,Und wen trägst denn du im Arm?‘ frage ich. ,Das ist auch mein Brüderchen, zehn Monate alt‘, sagt sie und drückt es, in ein Tuch gehüllt, an die schluchzende, zitternde Brust; doch vergebens; das Kind war tot. Erlkönig von Goethe? Nein, ein Lagerkinderschicksal.“

„9. Dezember 1945. Gestern waren es zehn Dekagramm (hundert Gramm, Red.) Brot pro Person, heute gab es überhaupt keines. Auch keine Suppe, nur einen Batzen Kukuruzschrot, ein wahres Schweinefutter, und der Flecktyphus verbreitet sich mit unheimlicher Schnelligkeit. - Die Bezeichnung Vernichtungslager wird der schrecklichen Wirklichkeit gerecht. Soeben erfahre ich, dass unser Arzt Dr. Brandt an Flecktyphus gestorben sei. Mir ist es auch bis jetzt noch nicht gelungen, eine Schutzimpfung zu bekommen.“

Im März 1946 erwirkte Pater Wendelin Gruber SJ, der den erkrankten Kaplan Johler vertrat, vom Lagerkommandanten die Erlaubnis, dass die Lagerleute abends in die Kirche gehen durften. Am 24. März 1946 nahm Gruber den Lagerleuten während der Messe das Gelöbnis ab, dass sie im Falle ihres Überlebens „nach Vätersitte“ jährlich eine Wallfahrt machen und eine Kirche bauen würden.

In Erfüllung dieses Gelöbnisses wallfahrten die Donauschwaben jährlich nach Altötting und zur Kapelle nach Bad Niedernau.

Vertreibung

Teil 1: Vertreibung

Vor Beginn des Jugoslawienkrieges 1941 wurden vier führende Persönlichkeiten der Ortsgruppe des Schwäbisch-Deutschen Kulturbundes von den jugoslawischen Behörden als Geiseln...

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Die Eckdaten der Ortsgeschichte

Teil 2: Die Eckdaten der Ortsgeschichte

Nicht mit dem Schwert, mit der Pflugschar erobert; Kinder des Friedens, Helden der Arbeit!

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Neues Gemeinschaftsleben

Teil 3: Neues Gemeinschaftsleben

In der Folge wird versucht, das ortsgemeinschaftliche Leben der in Österreich und Deutschland lebenden Filipowaer zu periodisieren.

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